Schokolade in Deutschland im 19. Jahrhundert
Während im preußischen Berlin die Schokolade lange eher zurückhaltend aufgenommen wurde, fand sie in den angrenzenden deutschen Ländern teilweise schnelle und rege Begeisterung. So kam es Anfang des 19. Jahrhunderts zunächst in Dresden und Leipzig zu einem ersten Schokoladenboom. Während die Schokolade in Berlin noch als teures Stärkungsmittel galt, eröffnete in Leipzig 1821 die Konditoreiwaren Handlung Wilhelm Felsche mit einer eigenen Schokoladenproduktion. Hier trafen sich im 1835 angefügten „café français“ Adel und Wohlhabende, um bei einer Tasse Schokolade zu plaudern, wie es in Frankreich, Italien und Spanien schon länger Mode war. Gefördert wurde das Wachstum der Schokoladenindustrie in Deutschland noch dadurch, dass die Zölle und Steuern auf Kakao zu Beginn des 19. Jahrhunderts in fast allen Deutschen Ländern gesenkt oder abgeschafft wurden.
Zur gleichen Zeit entstehen zahlreiche weitere Betriebe, die Schokolade noch überwiegend handwerklich herstellen. Mit dem Einsetzen der Industrialisierung wird auch in der Schokoladenbranche zunehmend auf Maschinenkraft gesetzt. Eine der ersten deutschen Schokoladenfabriken, die Dampfmaschinen benutzten, war die Firma J. F. Miethe in Halle/Saale (gegründet 1804). Von nun an kam in Deutschland die Bezeichnung „Dampf-Schokolade“ auf, für Schokolade die mit Hilfe von Dampfmaschinen produziert worden war.
Der Wegfall von Binnenzöllen in Deutschland fördert Handel und Industrialisierung. Im Jahr 1834, als in Sachsen die Binnenzölle fallen, wird in Dresden die Maschinenfabrik J.M. Lehmann gegründet. Mit ihren eigenen Entwicklungen für die Schokoladenindustrie trägt das Unternehmen maßgeblich zur Industrialisierung bei. Nicht nur die Firma Lehmann war in Dresden ansässig, sondern vor allem auch viele Schokoladenhersteller hatten in Dresden ihren Ursprung.
Aufschwung der Schokoladenindustrie
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kommt es zu einem weiteren Boom der Schokoladenindustrie. Gründe hierfür sind:
- Die Einigung Deutschlands nach dem deutsch-französischen Krieg (1870-1871) löst in Deutschland den Gründerboom aus. Gefördert von französischen Reparationszahlungen und dem erleichterten Handel zwischen den deutschen Ländern blüht die gesamte deutsche Wirtschaft auf.
- Der Krieg selbst ist für die deutschen Schokoladeproduzenten ein Gewinn, weil die qualitativ hervorragenden französischen Produkte für einige Zeit vom Markt verschwinden und die Lücke von deutschen Produzenten besetzt werden kann.
- Der Zucker der bislang wie der Kakao ein teures Importgut war und aus Rohrzucker gewonnen wurde, kann seit der Mitte des 19. Jahrhunderts preiswerter aus heimischen Zuckerrüben gewonnen werden. Das Verfahren dazu hatte bereits 1801 der Chemiker Franz Karl Achard entwickelt. Während der Kontinentalsperre Napoleons von 1806 bis 1812 hatte die heimische Zuckerindustrie bereits eine Blüte erlebt, war dann aber wieder zusammengebrochen, weil sie in Preis und Qualität nicht mit dem Rohrzucker konkurrieren konnte. Ab 1841 ermöglichen dann aber neu gezüchtete Rübensorten eine wirtschaftliche Produktion und die Schokolade wird ein Stück preiswerter, da kein Rohrzucker mehr importiert werden muss.
- Mit dem Aufschwung steigt auch der Teil der Bevölkerung, der sich Schokolade leisten kann und das entstandene Bürgertum stellt nun die Hauptzielgruppe der Produzenten.
Deutsches Schokoladenzentrum ist in Dresden
In Dresden, dem damaligen Zentrum der deutschen Schokoladenindustrie, werden während der Gründerzeit von 1871 bis 1873 gleich vier Aktiengesellschaften im Bereich Schokolade gegründet. Um 1880 werden in Dresden etwa 550 Tonnen Schokolade pro Jahr hergestellt. Das entspricht 30 % der damaligen deutschen Gesamtproduktion von ca. 1700 Tonnen pro Jahr. Der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland liegt 1881 bei 60 Gramm pro Jahr.
Bedeutung der Marken
Mit dem steigenden Angebot gewinnen Markennamen an Bedeutung. Sie garantieren dem Kunden eine immer gleiche Qualität und verschaffen dem Markenhersteller einen Vorteil gegenüber anderen Produzenten. Die Bedeutung findet auch in den ersten Gesetzen dazu ihren Niederschlag, so 1874 im Warenzeichengesetz und 1894 im Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnung.
Stollwerck Werbung, 1895
Neue Verkaufswege und Durchsetzung als Genussmittel
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelt sich zudem der Verkauf von Schokolade. Hatten vor allem auf dem Lande noch fahrende Händler exotische Produkte wie Schokolade verkauft, entstanden im Laufe des Jahrhunderts zunehmend Kolonialwarengeschäfte und ein Trend zur Spezialisierung bei vormaligen Gemischtwarenläden ist zu erkennen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schließlich entsteht in Deutschland die Konsumgesellschaft und in den großen Städten beginnen die ersten Kaufhäuser die Kundschaft anzuziehen.
Zwar wird auch am Ende des Jahrhunderts noch spezielle Gesundheitsschokolade verkauft, die Schokolade hat aber endgültig den Sprung vom Gesundheits- und Stärkungsmittel zum Genussmittel geschafft. Das spiegelt sich auch im Angebot der zahlreichen Hersteller wieder, zu deren Sortiment gehört Schokolade in Blöcken und Tafeln, Kakaopulver, Block- und Kochschokoladen, Pulver für Trinkschokoladen, sowie die in Mode gekommenen Hohlfiguren. Auch das Angebot an Pralinen ist riesig, so bietet die Firma Sarotti 1880 unter anderem Pralinen mit Ananas, Himbeere, Vanille, Mocca, Erdbeere, Nuss, Pistazien und Nougat an. Daneben führen viele Hersteller Produkte, die heute nicht mehr üblich sind, vor allem verschiedene Ersatzstoffe für Kakao zum Beispiel Racahout, ein Kakaoersatz aus Eicheln. Auch Kakaotee findet sich in vielen Angeboten der Zeit, er wurde aus den Schalen der Kakaobohnen gekocht.
Der Kampf um die Qualität
Am 6. Januar 1877 wird in Dresden der Verband deutscher Schokoladefabrikanten gegründet. Ziel des Verbandes ist es, die von ihm selbst aufgestellten Richtlinien durchzusetzten. Neben der Kontrolle von irreführenden Bezeichnungen ist es vor allem der Kampf für die Qualität der Schokolade, um die sich der Verband bemüht. Mit dem zunehmend guten Geschäft mit Schokolade kommen nämlich viele Hersteller auf die Idee, Teile des teureren Importproduktes Kakao durch billige Stoffe zu ersetzten. Ab 1878 gibt es eine eigene Verbandsmarke, die die Reinheit der damit versehenen Produkte garantiert. Hersteller, die diese Marke verwenden wollen, müssen sich dafür jederzeit kontrollieren lassen. Folgende Aufzählung zeigt einige beispielhafte Beimischungen zur Schokolade.
Als Ersatz für Kakao:
- verschiedene Getreidemehle
- Kartoffelstärke
- Bohnen- und Erbsenmehle
- Kreide
- Ziegelsteinpulver
- Gips
Als Ersatz für Kakaobutter:
- Talg
- Kokosnussöl
- Olivenöl
- Mandelöl
Siehe auch: Die Richtlinien der deutschen Schokoladenindustrie
Globaler Kampf um Rohstoffe - Die Deutschen Kolonien
Mit der Gründung des Deutschen Reiches und dessen zunehmender politischer und wirtschaftlicher Macht wird in Deutschland der Ruf nach Kolonien immer lauter. Versucht die deutsche Außenpolitik zunächst noch durch vorteilhafte Handelsverträge die Kosten und das Risiko von Kolonien zu vermeiden, kommt es schließlich dennoch zur Errichtung „Deutscher Schutzgebiete“ und schließlich mit dem von Kaiser Wilhelm II. ab 1890 eingeschlagenen aggressiveren Kurs zur Errichtung von Kolonien um Deutschland, den erhofften „Platz an der Sonne“ zu sichern.
Für die deutsche Schokoladenindustrie bedeuteten die Kolonien die Hoffnung auf neue Kakaolieferanten. Der Kakaoanbau sollte aber in den deutschen Kolonien bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nur langsam in Gang kommen. Eine erste Ausfuhr von Kakao aus Kamerun 1889 brachte 5 Sack Kakao im Wert von 360 Mark. 1893 konnten bereits 1560 Zentner aus Kamerun exportiert werden. Erst mit der Jahrhundertwende konnten nennenswerte Mengen Kakao exportiert werden, so im Jahr 1900 ca. 261 Tonnen aus Kamerun. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird der Anbau in den Deutschen Kolonien an Bedeutung gewinnen, wird für Deutschland aber durch den Verlust der Kolonien im ersten Weltkrieg keine besondere Bedeutung mehr haben.
Exemplarische Firmengründungen in Deutschland im 19. Jahrhundert
Es ist mir nicht möglich alle im 19. Jahrhundert gegründeten deutschen Schokoladenfirmen zu nennen, die im Text genannten sind deshalb nur als Beispiele zu betrachten. Hier noch einige Gründungen in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts:
- J. F. Miehte in Halle/Saale 1804 (ist heute die Halloren Schokoladenfabrik AG)
- Hildebrand in Berlin 1817 (wurde später von Stollwerck aufgekauft)
- Wilhelm Felsche in Leipzig 1821 (existierte bis 1967)
- Jordan und Timaeus 1823
- Maschinenfabrik J.M. Lehmann in Dresden 1834
- Stollwerck in Köln 1839 (gehört heute zur Belgischen Baronie Group)
- Moser-Roth in Stuttgart 1841 (gehört heute zur August Storck KG)
- Petzold und Aulhorn in Dresden 1843
- Waldbaur in Stuttgart 1848 (von Stollwerck aufgekauft)
- ESZET Staengel & Ziller in Stuttgart 1857
- Café Reber in Bad Reichenhall 1865
- Formenfabrik Anton Reiche in Plauen bei Dresden 1870
- Hartwig & Vogel, Dresden 1870 (Marke: Tell-Chocolade Cacao)
- Hachez in Bremen 1890 (gehört heute zur Dänischen Toms Konzern)
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